Tiefe Trauer: Fans versuchen den Tod von Robert Enke zu erklären. (Bild: dpa)
Tiefe Trauer: Fans versuchen den Tod von Robert Enke zu erklären. (Bild: dpa)
Am Sonntag wird Robert Enke aufgebahrt wie ein Staatsmann. Dabei war er nur ein Fußballtorwart. Einer von vielen zudem: Acht Länderspiele sind nichts, was einen 32-Jährigen zur Legende macht. Trotzdem werden Zehntausende in Hannover Abschied nehmen von Robert Enke. Millionen können ihn und seine Geschichte seit Tagen nicht loslassen. Internetseiten brachen zusammen unter dem Ansturm von Nutzern. Nachrufe werden gelesen, weitergeschickt, im Büro zitiert. Die Trauerandacht aus Hannover wurde live in der ARD übertragen, fast 2,7 Millionen Zuschauer sahen zu.
Das zeigt: Enkes Tod ist nichts, was „die Medien“ hochgepusht haben. Wer sich am Morgen nach dem brachialen Selbstmord des Torwarts unter Menschen begab, konnte einen flirrenden Wunsch nach Information spüren, nach Erklärung, Kommunikation und Trost. Die Medien haben ihn bedient - schnell, emotional und professionell wie es gerade in den Sportressorts der Branche üblich ist. Insofern ist das überwältigende Interesse an dem toten Torwart und seiner Witwe nur am Rande ein Medienphänomen. Schon 1994, als es noch kein Internet gab und der Berichterstattungs-Puls langsamer ging, erfasste der Unfalltod des Formel-1-Helden Ayrton Senna Millionen. Sennas Beerdigung wurde im Fernsehen übertragen, Zehntausende säumten damals die Straßen in Sao Paolo. Idole mit dieser Strahlkraft gibt es selten, und viele dieser wenigen sind Sportler.
Fast 30.000 Menschen sind seit Dienstagabend Mitglied einer Gruppe im Internet-Netzwerk „Facebook“ geworden, die „RIP Robert Enke“ heißt. RIP: Rest in Peace, Ruhe in Frieden. Eine Floskel als Fürbitte, dass Enkes rastlose Verzweiflung zu einem Ende gekommen sein möge.
Daran sieht man auch, dass der Großteil des Interesses am Schicksal des Torwarts mehr ist als Voyeurismus - obwohl er dazu gehört, wenn sich ein 32-Jähriger in der Blüte seines Lebens einem Regionalzug entgegenwirft. Doch diesmal geht es nicht ums Glotzen, es geht um Mitleid. Um Anteilnahme. 9000 Selbstmörder pro Jahr sind eine ferne Statistik, der Selbstmörder Robert Enke geht Millionen nah.
Das hat auch mit dem Fußball zu tun. Mit dem Spiel der Spiele, das Helden und Versager gebiert, Wochenende für Wochenende. „Wie viel dieser Sport zur Integration der Gesellschaft beiträgt, kann niemand messen“, schreibt Reinhard Mohr auf „Spiegel Online“ auf seiner Suche nach einer Antwort auf das Phänomen Enke. Zu dieser Parallelwelt Fußball gehörte Enke. Er starb als ein Teil von ihr - legte womöglich ihre Schattenseite bloß.
Aber deshalb allein sprechen Menschen nicht plötzlich morgens in der Bahn über Gefühle. Am 17. November 1991 verunglückte der Kölner Fußballprofi Maurice Banach tödlich. Fußball-Deutschland stand unter Schock - aber die „Tagesthemen“ begannen nicht damit. Die „Times“ brachten keine Geschichte über Banach auf der Titelseite. Über Enke schon.
Selbst jene, die sich für Fußball nicht interessieren, kannten die Geschichte von dem nicht ganz gewöhnlichen Profi, dessen kleine Tochter gestorben war. Seitdem umwehte ihn etwas Tragisches. Die ruhige, intelligente Professionalität, mit der er ihm trotzte, hat Enke zu einer besonderen Erscheinung im oft gedankenarmen Kickerzirkus gemacht. Als die Tragik über Enke siegte, personalisierten sich in ihm ein Alptraum. Ein Mensch ist mitten im Trubel mutterseelenallein. Eine Krankheit ergreift von ihm Besitz wie ein Alien. Sie bringt ihn dazu, den Plan vom eigenen Tod umzusetzen. Trotz bester medizinischer Betreuung, sogar gegen die Liebe seiner Familie. Ein allseits beliebter Millionär mit einem Heldenkörper, mit einer schönen, starken Frau, mit einem Kind - wie verzweifelt muss einer sein, dem selbst alle erfüllten Jungenträume das Leben nicht lebenswert erscheinen lassen?
Die Wucht der irrsinnigen Angst Enkes, sich mit seiner Krankheit bloßzustellen, ist unerträglich. Selbst die Schuldgefühle, die Hinterbliebene von Selbstmördern umtreiben, scheinen vorübergehend etwas Kollektives bekommen zu haben. Anders ist nicht zu erklären, dass nun die „Volkskrankheit Depression“ zum Thema wird, verbunden mit dem Vorwurf, unsere ganze Gesellschaft sei zu unsensibel. Vielleicht erklärt sich so der Wunsch nach Austausch, Wärme und Geborgenheit, den man den Trauernden in Hannover am Mittwoch ansah - und der bis zu Hause aufs Sofa um sich griff.
Aus alledem ist das Gefühlspuzzle zusammengesetzt, das Tausende Robert Enkes Schicksal nahe gehen lässt, obwohl sie ihn nicht kannten. Vermutlich ist das ein wenig hysterisch. Doch vor allem ist es menschlich. Angenehm menschlich.